Die nicht mehr junge Frau betrat mit gemischten Gefühlen den Laden. Sie konnte dieser Anzeige immer noch keinen rechten Glauben schenken. "Neu- und Gebrauchtherzen in allen Preisklassen vorhanden"!
Der Verkäufer machte jedoch einen vertrauenerweckenden Eindruck und schon bald war ihr klar, dass er über einen ausgeprägten Sachverstand verfügte.
Nachdem sie sich in die Gebrauchtherzen-Abteilung begeben hatte und durch entsprechende Informationen des Verkäufers, war ihr schnell klar geworden, dass ein Neuherz für sie nicht in Frage kam. Müsste viel zu lange in Watte gepackt werden!
Nun begann der Verkäufer mit der Präsentation in der obersten Reihe.
„Hier haben wir eines, da hätten Sie lange Freude dran. Noch nicht sehr abgenutzt, durchaus zu Gefühlen fähig, aber auch nicht zu tief, quasi ohne eingebauten Selbstzerstörungsmechanismus. Ausgesprochen treu und ergeben, sehr pflegeleicht. Verletzungen hinterlassen nur oberflächliche Wunden, die sich sehr schnell schließen."
„Hm, was ist denn mit denen in der untersten Reihe, da muss man doch sicher nicht allzu viel investieren. Die sind schon total verkrustet, man kann sie ja kaum noch erkennen. Aber irgendwie sehen sie interessanter aus."
„Das sind allerdings stark beschädigte Herzen, daher auch die Verkrustungen, auch Mauern genannt. So wie ein Baum zum Schutz Harz produziert, wenn er beschädigt wird, bauen Herzen Mauern, um sich zu schützen. Wenn man da rein will, muss man die äußere Hülle erst durchbrechen. Glauben Sie mir, da ist schon mancher selbst dran zerbrochen."
So leicht ließ sie sich aber nicht beeindrucken. „Zeigen Sie mir doch mal das Zweite von rechts, das ist ja riesig."
Der Verkäufer legte es auf den Tresen, kramte kurz in einer Kartei und las von einer hervor geholten Karte:
"Hatte die Absicht, die ganze Welt in sich aufzunehmen. Ist nach anfänglichen Erfolgen daran gescheitert, als es immer wieder feststellen musste, dass Einzelne in seinem Innern den Platz für sich allein beanspruchen wollten. "
Nun ja, einen Alleinanspruch hege ich nicht, aber einen besonderen Platz möchte ich schon einnehmen. Und was ist mit dem ganz rechts?" Ein ungläubiger Blick traf sie.
"Gnädigste, das ist nun wirklich nur noch was für Bastler." Er musste dieses Mal nicht einmal in der Karteikiste blättern, diesen Ladenhüter kannte er wohl bestens.
"Also, dieses Herz ist völlig zerstört, hat schon Millionen von Liebeskilometern hinter sich. Und immer im höchsten Drehzahlbereich. Bis das Unvermeidliche kommen musste, ein totaler Enttäuschungscrash, als ihm die notwendige Liebe entzogen wurde. Totalschaden! Ohne seine Mauer würde es völlig zerbröseln."
„Das ist genau richtig, " strahlte die Kundin." Davon habe ich immer geträumt, neu ist so was ja unerschwinglich."
„Was wollen Sie denn damit noch? Es wie eine Trophäe ins Regal stellen?" Ganz in sich versunken lächelte die Kundin. "Ich glaube nicht daran, dass Herzen ganz zerstört werden können. Ich werde es mit viel Liebe wieder aufpäppeln. Auch wenn es die Nahrung ablehnt, werde ich es immer wieder versuchen, ich habe Geduld. Und Sie werden sehen, eines Tages beginnt die Verkrustung zu schmelzen und es zerbröselt trotzdem nicht, weil ich unter die Liebe Hoffnung gemischt habe. Und ist erst mal der erste Tropfen Hoffnung angekommen, repariert sich jedes Herz wieder von selbst. Und die tiefen Narben, die natürlich bleiben, die stören mich nicht. Sind sie doch nur ein Zeichen, dass dies ein Herz ist, das sich in Bereiche gewagt hat, in die jedes Herz vordringen sollte."
Der Verkäufer wünschte ihr viel Glück, obwohl er sicher war, dass sie dies nicht haben konnte und sah sie selig und stolz durch die Ladentür schreiten.
2017
Eine sehr schöne Geschichte. Ich würde gerne wissen, ob es die nicht mehr ganz so junge Frau geschafft hat, das Herz zu reparieren.
Anstatt Handys sollte man lieber mehr Herzen laden...